Viviane ist Königin für einen Tag
Vor wenigen Tagen feierten die Christen das Fest der „Epiphanie“ (Erscheinung des Herrn), das ursprünglich auf nichtchristliche Vorbilder zurückzuführen ist. In einigen Ländern ist der 6. Januar ein staatlicher Feiertag und dort, wo der julianische Kalender gilt, ist es der 19. Januar. In den deutschen Bundesländern Baden-Württemberg, Bayern und Sachsen-Anhalt ist der „Heilige Drei Königstag“, wie er volkstümlich genannt wird, ebenfalls arbeitsfrei.
In ganz Frankreich feiert man „La Fête des Rois“ in der Familie mit einem Dreikönigskuchen, der mindestens vom 2. bis 15. Januar in allen Konditoreien und auch Supermärkten erhältlich ist. Aber eigentlich gehört es zur Tradition, den schmackhaften Kuchen selbst zu backen. Während man in der Provence und in Okzitanien einen Brioche-Teig herstellt, besteht die „Galette des Rois“ im übrigen Frankreich aus Blätterteig. Üblicherweise benötigt man zur Füllung fein geriebene Mandeln, Butter, Eier, Eigelb, Zucker und etwas Rum. Jede Hausfrau kennt natürlich andere Rezeptvariationen. Bevor der Kuchen in den Ofen kommt, muss die „fève“ (Bohne, heute eine kleine Porzellanfigur) darin versteckt werden.
Am 26. Januar 2023 trafen sich die mit dem neugierig machenden Hinweis „Surprise“ (Überraschung) eingeladenen Teilnehmer der beiden Französischkurse von Monsieur Guy Icard zum ersten Mal in diesem Jahr im Nauroder FORUM, um gemeinsam zunächst ein Gedicht und dann einen französischen Text über die Tradition dieses besonderen Gebäcks zu erarbeiten. Der Theorie folgte rasch die Praxis: Die Sektgläser wurden mit einem feinperligen Champagner „Blanc de Blanc“ gefüllt und Viviane, die jüngste Sprachstudentin, gebeten, unter den Tisch zu kriechen. Während Iris Siebold, die den Kuchen gebacken hatte, diesen portionierte, musste Viviane rufen, wer welches Stück bekommen sollte. Nachdem alle versorgt waren, kam Viviane wieder aus der Versenkung, und man stieß auf das Neue Jahr und die harmonische Atmosphäre im Kurs an. Beim vorsichtigen Verzehren der Kuchenstücke achteten alle darauf, den eingebackenen Gegenstand nicht zu verschlucken. Nach kurzer Zeit ertönte ein Freudenschrei: Viviane war fündig geworden! Ohne es zu ahnen, hatte sie sich selbst die Porzellanfigur in ihrem Kuchenstück beschert. Mit einer goldenen Krone auf dem Kopf durfte sie den ersten Schluck als „Königin des Tages“ nehmen. Entsprechend dem französischen Brauch riefen alle anderen im Chor: „La Reine boit!“ (Die Königin trinkt!). Die Tradition besagt, dass die neu gekrönte Königin oder der neue König diesen ganzen Tag Wünsche äußern darf. Aber die Sache hat auch einen Haken: Die Königswürde verpflichtet nämlich, allen Anwesenden eine Runde auszugeben!
Die Französischstudenten dürfen darauf gespannt sein, und sie freuen sich auf die nächsten Kursstunden des Partnerschaftsvereins Naurod - Fondettes mit Monsieur Guy Icard, wenn es wieder heißt «Parlez-vous français?»
Bernd Siebold